Die Mühle nach dem Kriegsende
Eine schwere Zeit war im Dorf angebrochen: Alles war knapp und wurde bewirtschaftet. Brot wurde auch aus Maismehl gebacken, die weissen Mehlsäcke zu Schürzen umgenäht und noch vieles mehr improvisiert. Übrigens von den Schürzen gibt es heute noch einzelne
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Doch es musste ja weitergehen. Egon betätigte sich im Gemeinderat Rönsahl, in der Feuerwehr, im Kreditausschuss der Sparkasse und in der Kirche. 1948 bestimmte er als Bürgermeister für 4 Jahre das Ortgeschehen.

Kurz nach dem Krieg wurde auch das Heim der Diakonie, die jetzige Waldheimat gegründet. In diesem Heim betätigte sich auch Hanna Schmidt aus Halver. Irgendwie hatte Amor seine Finger im Spiel. Die Beiden trafen sich heimlich im Hohlweg. Doch der Hausvater Nöh bekam es schließlich doch mit und spielte für die beiden spät abends auf der Trompete „Das Leben bringt groß Freud", Schon bald wurde bekannt, das in der Mühle Hochzeit gefeiert wurde.

Die älteste Tochter Lieselotte starb schon bald nach der Geburt. Doch 1950 und 1952 wurden dem Ehepaar Marcus zwei weitere Kinder geschenkt.
Die Wirtschaft kam nun auch in Schwung, das Wirtschaftswunder begann. Egon Marcus hatte 1952 den Mut einen damals recht großen Laden zu bauen. Der Bauunternehmer Stöcker errichtete den Laden. Er berechnete damals für seine Tätigkeit übrigens pro Stunde den gleichen Preis, den ein 3-Pfund Graubrot kostete. Heute sind in dem damaligen Laden Garagen untergebracht.

In diesem Laden gab es aus einem großen Fass Salzheringe, die Marmelade wurde lose aus einem 10 kg Eimer verkauft, Öl, Essig und Maggi wurde in Flaschen umgefüllt, die die Kunden mitbrachten. Zucker, Mehl und Salz gab es lose aus großen Säcken.
Persil wurde damals in Holzkisten direkt von Henkel per Bahn angeliefert und selbst der Pelikan-Klebstoff wurde aus einem Tiegel lose verkauft. Butter gab es auf Wunsch auch als 1/8 Pfund. Kaffee war damals sehr wertvoll und wurde ¼ Pfund weise verkauft und ich kann mich noch gut an einen Kaffeepreis von über 12 D-Mark pro Pfund erinnern.

In Laden kam man nicht nur zum Einkaufen, es wurde auch immer der neuste Dorfklatsch erzählt. Es gab Rabattmarken, mit denen so manche Familie ihren Weihnachtseinkauf finanzierte und für die Kinder gab es kleine, aber wahnsinnig leckere Karamellen.

In der Backstube wurden jeden Morgen frische Brötchen gebacken, Graubrot kam später in den Ofen und gegen Mittag war dann Schwarzbrot dran. Hier wurde das Mehl nicht Kilo-weise in die Teigmaschine gefüllt, nein es kamen Zentnersäcke zur Verarbeitung.

Freitags gab es dann Nussecken, Streusselkuchen, Apfeltaschen und Schweineöhrchen. Das war der Festtag der Rönsahler Schüler: Nach der Schule trafen die sich am Backstubenfenster und staubten die Ränder der Blechkuchen und so manches verunglückte Teilchen ab.

Ein Rönsahler Lehrer wollte an einem 1.April seine Schüler in den April schicken. Er beauftragte diese, doch in der Mühle die Korinthen-Flinte zu leihen, damit er zeigen könne, wie die Rosinen ins Brot kommen. Doch Egon drehte den Spieß um und gab den Schülern eine alte Armbrust mit. Nun hatte der Lehrer seine liebe Not mit den Erklärungen.

Mitte der 50 er Jahre wurde dann auch das Wasserrad abgebaut und durch einen exrem großen Elektromotor ersetzt. Die Bauern erwarteten, dass ihr Getreide zeitnah gemahlen wurde, aber ein Wasserrad kann bei wenig Wasser und auch bei Hochwasser nicht betrieben werden. Auch wenn ein erfahrener Müller aus seinen Beobachtungen selbst über mehrere Tage das Wetter vorhersagen konnte, war der Wasserstand nicht immer so wie der Müller in wünschte. Der Elektromotor machte ihn unabhängiger.
Die Backstube war aber noch mehr, wie nur der Ort wo Brot gebacken wurde. Vor der warmen Ofentür wärmten sich die Arbeiter der Gemeinde, der Schornsteinfeger und auch mancher Handwerker bei schlechtem Wetter auf. Wir Kinder spielten dort als wir noch klein waren und beaufsichtigt werden mussten.

Der Opel war nun auch schon lange zu klein. Ein VW-Bus wurde angeschafft und innen mit Regalen ausgestattet. Ein kleiner Laden fuhr Montags nach Bürhausen, dienstags nach Haarhausen und Dörscheln und Donnerstags nach Heukelbach und Glietenberg. Hier waren Egon und Hanna unterwegs. Im Winter musste Hanna schon mal schieben und sprang dann, wenn der Wagen rollte auf die hintere Stoßstange und fuhr so bis auf die Bergkuppe. Im Herbst wurden auf diesen Touren schon mal Pilze oder Waldbeeren gesucht. Freude und Leid wurde mit den Bauern geteilt und auch die eine oder andere Tasse Kaffee oder ein Schnäpschen getrunken.